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Das 12. Gebot: Du sollst nie etwas verschenken, das Du auch verkaufen kannst (Teil 2)

Der stationäre und der Online-Handel sind so verschieden nicht: Hier wie dort geht es um Frequenz und Conversion. Frequenz ist teuer: Mieten auf der Maximilianstraße genau wie Kosten für hippe Influencer. Conversion dagegen ist Handwerk mit demselben Ziel: Den Shop soll der Kunde mit einer vollen Tüte, die Website mit einem vollen Warenkorb verlassen. Und wiederkommen. Wenn die Herausforderungen also gleich sind, kann der Online-Handel von den ziemlich langjährigen Erfahrungen des stationären Handels profitieren. In diesem Blog soll daher versucht werden, ein paar dieser Erfahrungen für den Online-Handel nutzbar zu machen. Vor allem für Neueinsteiger, aber vielleicht sind auch ein paar Ideen für altgediente Onliner dabei.

 

Im letzten Blog haben wir das Grundprinzip des Abschöpfens der maximalen Zahlungsbereitschaft schon ausgeführt und illustriert. Gibt es nur einen Standardpreis, müssen viele Kunden weniger bezahlen als sie zu zahlen bereit wären. Nimmt der Händler den Preis für alle hoch, dann macht er weniger Menge und weniger Gewinn. Also: Preis nur für die hochnehmen, die mehr zahlen können/wollen, für die anderen muss er halt in Gottes Namen unten bleiben, solange man eine Marge macht, so klein sie auch sein mag.

 

Steinaltes Prinzip: Warum gibt es einen Seniorenrabatt im Kino? Warum dürfen Erwachsene kein Kinderschnitzel bestellen? Warum kann man beim Möbelkauf riesige Rabatte herausschlagen? Warum gibt es draußen nur Kännchen? Warum ist es nachts kälter als draußen? Kleiner Scherz, die Antwort lautet: Abschöpfen der maximalen Zahlungsbereitschaft durch Preisdifferenzierung.

 

Wir machen weiter mit unseren Beispielen, die das Prinzip illustrieren und hoffentlich Ideen antriggern sollen:

  • Produkttreppen/Up-Selling: Das Internet (und damit der Online-Handel) sind super transparent. Für das haargenau gleiche Produkt können nicht einfach so höhere Preise als sonstwo durchgesetzt werden. Deshalb müssen höherwertige Produkte mit mehr Nutzen und höherer Marge angeboten werden, die der Kunde (z.B. statt eines Lockvogelangebots) erwirbt. Bei den Autos kann man das sehr schön bei den 1er bis 7er BMWs begutachten. Wäre interessant zu sehen, wie viele Kunden im ersten Schritt denken, so teuer sind die BMWs (1er) ja gar nicht, und am Ende doch mit einem 3er nach Hause fahren. Das geht Online auch (siehe z.B. 1&1 oder Netflix). Ganz simpel: Oft wird das mittlere Produkt aus drei Produkten gewählt, vor allem wenn es auch noch als Bestseller bezeichnet wird. Klar, ein höherer Preis in der Produkttreppe heißt nicht direkt mehr Marge, also Obacht bei der Kalkulation und auch die Folgekosten einkalkulieren: Oft führen höhere Preise nachher auch zu mehr Betreuungsbedarf und Kosten z.B. an der Hotline.
  • Second Brand/Second Site/A-B-Sites: Große Luxushotels haben oft Zimmer minderer Qualität, die sie – absichtlich oder aufgrund finanzieller oder operativer Zwänge – nur zögerlich renovieren und die sie ziemlich billig anbieten. Diese Zimmer ziehen Kunden mit niedriger Zahlungsbereitschaft an und lasten das Hotel mit aus. Die Strategie birgt aber die Gefahr, dass sich auch diejenigen Schnäppchenjäger für die billigen Zimmer entscheiden, die – genau – eigentlich eine höhere Zahlungsbereitschaft hätten. Damit das nicht passiert, werden diese Zimmer meist nur über spezielle Discount-Vertriebswege angeboten. Diese Überlegung liegt auch der Plattform-Strategie von VW zugrunde (Skoda, Seat, VW, Audi sind im Innern ziemlich gleich, der Porsche-Dieselmotor kommt von Audi) oder dem Mega-Perls-Waschmittel von Henkel (Zutaten und Produktionsprozess werden zu 90 % die gleichen sein wie bei Persil). Der Online-Händler kann diese Strategie nachahmen, indem er eine zweite Site anbietet, die er anders bewirbt und positioniert und idealerweise auch anderes branded (und auf beiden das gleiche Produkt mit unterschiedlichen Preisen verkauft). 
  • Gewohnheit und „hilfreiches“ Kundenverhalten: In nicht wenigen Branchen gehört das Verhandeln über Rabatte zur Normalität: Beim Möbelkauf zum Beispiel, aber auch im Abo-Geschäft ist es nicht unüblich, sich „herunter zu kündigen“. Die Mehrzahl der Kunden weiß das, verhandelt und bekommt den niedrigen Preis (möglicherweise unter der Zahlungsbereitschaft). Warum die Händler dann nicht gleich den niedrigeren Preis in die Preisliste schreiben ist auch klar, man ahnt es: Preisdifferenzierung. Und warum der Preis im Abo-Geschäft erst nach sechs von 12 Monaten berechnet wird, die ersten Monate also frei sind? Den Kunden ist eine Wiedervorlage vielleicht nicht so wichtig... Abschöpfen der Zahlungsbereitschaft kann auch dann gelingen, wenn das Produkt ein Prestige-Objekt ist: Warum gibt es den 7er BMW? Würde es – rein technisch – nicht auch der 5er tun? Ja, für BMW ist der 7er aber richtig lustig, denn der Preis und noch mehr die Marge sind beim 7er erheblich höher als beim 5er oder gar beim 3er, das will man nicht Mercedes oder gar Bentley lassen; und die Kunden haben auch etwas davon (der Nachbar wird blass vor Neid). 

Die Logik ist immer die gleiche: Normalerweise werden die Margen wegkonkurriert, hinunter auf einen Einheitspreis, der für kleine Online-Händler oft nicht wirklich auskömmlich ist. Den Preis einfach so hochnehmen geht nicht, denn dann geht zu viel Menge verloren, also bleibt nur die Preisdifferenzierung. Die Herausforderung ist exakt die gleiche beim stationärem Handel und Online-Handel. In beiden Fällen muss der flow, die customer journey jeweils exakt passen, damit man keinen Kunden wegen zu hoher Preise laufen lässt, aber auch keinem Kunden weniger als seine Zahlungsbereitschaft berechnet. Wichtig ist noch einmal zu erwähnen: Abschöpfen der Zahlungsbereitschaft heißt nicht Über-den-Tisch-ziehen: Der Kunde mit der höheren Zahlungsbereitschaft zieht einfach mehr Nutzen aus dem Produkt als derjenige mit der niedrigeren. Er ist deshalb auch bereit, mehr zu zahlen. Bei beiden Kunden wird die gleiche Menge an Endorphinen ausgestoßen, wenn er das Produkt in seinen glücklichen Händen hält.

 

Auch erschienen bei: https://blog.afterbuy.de/allgemein/gastbeitrag-preisdifferenzierung-du-sollst-nie-etwas-verschenken-das-du-auch-verkaufen-kannst-teil-2/

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