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Das Lager ist der Händlers Tod

Der stationäre und der Online-Handel sind so verschieden nicht: Hier wie dort geht es um Frequenz und Conversion. Frequenz ist teuer: Mieten auf der Maximilianstraße genau wie Kosten für hippe Influencer. Conversion dagegen ist Handwerk mitdem selben Ziel: Den Shop soll der Kunde mit einer vollen Tüte, die Website mit einem vollen Warenkorb verlassen. Und wiederkommen. Wenn die Herausforderungen also gleich sind, kann der Online-Handel von den ziemlich langjährigen Erfahrungen des stationären Handels profitieren. In diesem Blog soll daher versucht werden, ein paar dieser Erfahrungen für den Online-Handel nutzbar zu machen. Vor allem für Neueinsteiger, aber vielleicht sind auch ein paar Ideen für altgediente Onliner dabei.

 

Das Lager hat für den stationären Händler zwei Gesichter: Er braucht einen gewissen Vorrat, sonst kann er nicht mit den großen stationären Wettbewerbern mit hunderten von Quadratmetern begehbarer Lagerfläche konkurrieren und erst recht nicht mit dem Online-Handel, wo alles nur einen Klick entfernt ist. Die Kunden kommen ja nicht zuletzt, um alles ausprobieren und direkt mitnehmen zu können. Auf der anderen Seite braucht er dafür Kapital und wehe, wenn er Ladenhüter einkauft, die sich – wenn überhaupt - nur schleppend und mit riesigen Rabatten verkaufen lassen. 

Das physische Lager steht im engen Zusammenhang mit dem Rest des Working Capital, also vor allem mit den Forderungen und Verbindlichkeiten aus Lieferungen (und Leistungen). Lagerbestände, die noch nicht bezahlt sind, sind die besten, sie brauchen kein Kapital (versteckte Wucherzinsen aufgrund überhöhter Einkaufspreise kostet es aber vielleicht trotzdem). Auf der anderen Seite ist das Lager erst dann wirklich leer, wenn die Kohle vom Kunden auf dem Konto eingeht (und nicht durch Rücklastschrift wieder verschwindet).

Das alles trifft den Online-Händler auch. Er hat nur den Vorteil, dass der Kunde nicht extra zu ihm kommt, um die Ware von allen Seiten zu betrachten, anzufassen usw., um dann doch nicht zu kaufen. Sein Problem ist die schnelle Lieferung, so dass auch er eigentlich unmittelbaren Zugriff auf die Ware haben muss.

 

Was kann getan werden?

  • Das Aldi-Prinzip: Den Lieferanten erst bezahlen, wenn man das Geld vom Kunden schon hat. Nach diesem Prinzip arbeitet man ohne Kapital, im Gegenteil, man wird sogar zur Bank. Muss man durchsetzen können, ist aber nicht verboten. Auf jeden Fall zeigt das Beispiel, was wichtig ist: Lagerumschlag, Lagerumschlag und nochmal Lagerumschlag...
  • Streckengeschäft: Die Ware kommt vom Lieferanten, nicht aus dem eigenen Lager, man sourcst das Lager also an den Lieferanten aus, der tendenziell finanzkräftiger ist (aber auch mehr Controller hat). Das kostet Marge, wie jedes Outsourcing, und auch Kundenbindung, aber besser auf Marge und Kundenbindung verzichten, als zum Amtsgericht rennen.
  • Kooperationen: Die Lagerverfügbarkeit kann ein Differenzierungsmerkmal zwischen den Händlern sein, muss es aber nicht. Dann kann man sich einer Lager-Plattform anschließen: Jeder Kooperationsteilnehmer legt sein Lager in Echtzeit offen und jeder Teilnehmer darf zugreifen. 
  • Subskription: Wenn man es schlau anstellt, ist die Lagerverfügbarkeit gar nicht so wichtig. Beim Wein beispielweise muss man sogar - lange bevor die Trauben geerntet sind - subskribieren. Das ist natürlich das Paradies. Man kann aber auch sonstwo vielleicht durch einen Rabatt oder eine andere Zugabe erst verkaufen und dann bestellen, vielleicht sogar mit Anzahlung (naja). Macht man es aber ganz schlau und verkauft schon, während die Ware noch unterwegs und unbezahlt ist, dann ist man auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, dass sie auch in der richtigen Qualität und rechtzeitig ankommt, sonst sind die Bewerungs-Sterne futsch. 
  • Skonto und ähnliches: Forderungen aus Lieferungen zu haben, ist genau so schlecht, wie das Lager voll zu haben. Alles, was dazu führt, dass das Geld auch mit Abgang aus dem Lager auf dem Konto landet, ist gut. Klar, man kann mit den offenen und verdeckten Zinsen auf der Einkauf- wie auf der Verkaufsseite herumspielen und Geld verdienen. Ist das der richtige Fokus des Händlers? Normalerweise nicht (auch der Erfolg von Aldi gründet am Ende auf dem Preis-Leistungs-Verhältnis nicht auf Finanzjonglage). Deshalb lieber zusehen, dass man die Kohle auf‘s Konto bekommt und den Kunden mit ein paar Goodies wie z.B. mit Skontogewährung in diese Richtung schubst.
  • Forderungsverkauf: Die beste Möglichkeit, dem Risiko des vollen leeren Lagers (Forderungen statt Vorräte) zu entgehen, ist das Verkaufen der Forderung im Zeitpunkt der Entstehung. Die Kunden müssen immer noch kaufen, aber man hat keinen Ärger und keinen Zeitverzug bei der Zahlung. Dafür gibt es jede Menge Anbieter, Kreditkartenfirmen usw., die sich ihren Service aber fürstlich entlohnen lassen. Andere Anbieter bieten ein Scoring an, das die günstigere Zahlung mit Rechnung oder Lastschrift nur nach Prüfung der Kreditwürdigkeit zulässt. Andere übernehmen die ganze Rechnungsstellung inkl. Ausfallrisiko und zahlen direkt an den Händler, auch nicht schlecht. 

Ein Patentrezept gibt es nicht, tendenziell geht an diesem Punkt aber Sicherheit vor Herausquetschen des letzten Cents Marge. Der Richtung nach: (1) Wie groß muss das Lager bzw. die Liefergeschwindigkeit aus Kundensicht wirklich sein? (2) Auf der Lieferantenseite herausschlagen, was geht; im Zweifel lieber auf Marge verzichten und cash-schonend vorgehen und (3) Zahlungsprozesse auf Kundenseite so weit wie möglich outsourcen, auch wenn‘s Marge kostet.

 

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